Pirandello auf Deutsch

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Wer ist Pirandello? Eine der wenigen Konstanten in Pirandellos Werk besteht ja eben darin, die Idee einer einheitlichen, “wahren”, zu allen Zeiten gleichen Persönlichkeit radikal in Frage zu stellen, gerade auch, was das eigene Ich betrifft:

“Ach, Sie glauben, Konstruktion hätte nur mit Gebäuden zu tun? Ich konstruiere mich andauernd, und ich konstruiere Sie, und Sie tun dasselbe. Und die Konstruktion hält so lange, bis das Material unserer Gefühle zerbröckelt und der Zement unseres Willens zerfällt. […] Es genügt, daß der Wille ein wenig schwankt und sich die Gefühle in einem Punkt wandeln, ja auch nur geringfügig verändern, und dahin ist unsere Wirklichkeit!” ( Einer, keiner, hunderttausend, 1925)

Michael Rössner – Pirandello und die deutsche “Kultur”
Christoph Schamm – Dreimal Meta-Pirandello: La giara als Novelle, Einakter und Spielfilm
Die Überbrückung der Rampe als, Übergang der Kunst in das Leben
Ulrich Schulz-Buschhaus – Die Konkurrenz der Wirklichkeiten in Pirandellos Theatertrilogie

Novellen Index

Pirandello auf Deutsch
Marlene Dietrich, Maria Paudler, Luigi Pirandello, Liane Haid, Max Hansen, Anita Davis, Anni Ahlers e Theodore Däubler. 1929.

Dank Giuseppe Tizza für die freundliche Zusammenarbeit

Giuseppe Tizza, Dolmetscher und Übersetzer, Am Gallberg 4, 40629 – Dusseldorf
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Si ringrazia Giuseppe Tizza per la gentile collaborazione
Giuseppe Tizza, Interprete e Traduttore, Am Gallberg 4, 40629 – Dusseldorf
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Cell. 0039 375 620 2511 – pinotizza@gmail.com

LUIGI PIRANDELLO

durch Deutsches Pirandello-Zentrum e.V.

Ein, kein, hunderttausend Ichs des Luigi Pirandello

Wer ist Pirandello? Eine der wenigen Konstanten in Pirandellos Werk besteht ja eben darin, die Idee einer einheitlichen, “wahren”, zu allen Zeiten gleichen Persönlichkeit radikal in Frage zu stellen, gerade auch, was das eigene Ich betrifft:

“Ach, Sie glauben, Konstruktion hätte nur mit Gebäuden zu tun? Ich konstruiere mich andauernd, und ich konstruiere Sie, und Sie tun dasselbe. Und die Konstruktion hält so lange, bis das Material unserer Gefühle zerbröckelt und der Zement unseres Willens zerfällt. […] Es genügt, daß der Wille ein wenig schwankt und sich die Gefühle in einem Punkt wandeln, ja auch nur geringfügig verändern, und dahin ist unsere Wirklichkeit!” ( Einer, keiner, hunderttausend, 1925)

Die daraus resultierenden Probleme der Welterfassung, aber auch der Kommunikation, gestaltet sein Werk in nicht philosophisch-theoretischen, sondern höchst konkreten, oft von Leid der Personen geprägten Geschichten: die Konstanten der Unruhe, der Skepsis, der stets ironisch-selbstironischen Infragestellung aller Sicherheiten der Menschen, auch der eigenen, letzten, scheinbaren Rückzugsgebiete, bis hin zur Kunst selbst sind Dominanten dieser Novellen, Romane und Theaterstücke, die zwischen 1890 und 1936 entstanden sind.

Natürlich ist Pirandellos Literatur auch – wie die Anhänger der Postmoderne zustimmend meinen – Spiel, aber kein unbeschwertes, nicht eines, das man “aus Neugier” spielen kann, wie er selbst in den Riesen vom Berge schreibt. Es ist ein Taumelspiel (ilinx),das vom Leser verlangt, sich rückhaltlos darauf einzulassen, alle Sicherheiten, auch alle festen Überzeugungen in Frage zu stellen, selbst um den Preis des Leidens, den der Autor selbst immer wieder in seiner radikalen Skepsis auch gegenüber dem eigenen Denken gezahlt hat. Alles ist erlaubt, wenn man bereit ist, rückhaltlos ehrlich zu sich selbst zu sein, nur eines nicht: seine Wahrheit den anderen aufzuzwingen. Diese verblüffend einfache und doch so schwer einzuhaltende Minimalregel macht aus Pirandello, nicht nur einen der wichtigsten Autoren des zu Ende gegangenen Jahrhunderts, sondern vielleicht auch einen, der dem nächsten noch immer ein bißchen seinen Stempel aufprägen sollte.

durch StadtMuseum Bonn

Pirandello, einer der berühmtesten italienischen Dichter des 20.Jh. hat in Bonn nicht nur studiert – vom WS 1889/90 bis zum SS 1892 – und promoviert (1891), sondern seiner rheinischen Zeit in den “Elegie renane” (Rheinische Elegien) auch ein literarisches Denkmal gesetzt. Noch heute erinnert eine Tafel im Romanistischen Seminar an sein Wirken.

Der Sohn eines Schwefelgrubenbesitzers wuchs in der Nähe von Agrigent (Sizilien) auf und schrieb schon während der Schulzeit Gedichte und Erzählungen. 1886 nahm er in Palermo, dann in Rom das Studium der Philologie und Jurisprudenz auf und ging im Wintersemester 1889/90 nach Bonn, damals das Mekka der romanistischen Philologie. 1891 legt er eine Dissertation über seinen Heimatdialekt vor – der Thesenverteidigung, die damals zum Promotionsverfahren gehörte, erinnert er sich in einer amüsant-skurrilen Studie. 1892 kehrt er nach Rom zurück und heiratet 1894 die Tochter eines reichen Geschäftsfreundes. 1904, als ihm erster literarischer Erfolg zuteil wird, treffen ihn zwei Schicksalsschläge von weitreichenden Auswirkungen: Bei seiner Frau bricht eine Geisteskrankheit aus, und der Verlust seines Vermögens durch ein Grubenunglück zwingt ihn zum Broterwerb. Von 1897-1921 arbeitet er als Dozent für italienische Literatur am Istituto Superiore di Magistero (Pädagogische Hochschule) in Rom.

Schon seine 1908 erschienene Schrift über den Humor, in der sich Pirandello als von der Bergsonschen Lebensphilosophie, der deutschen Philosophie und vom italienischen Verismus beeinflusst zeigt, schlägt Grundtöne seines Werks im Kampf gegen Formalismus und Konvention an. Pirandello zeigt den Dichter als Humoristen, der “zerlegen, verwirren, durcheinanderwerfen” muss. Es gibt keine absolute Wahrheit, und das Innen, das sich hinter einer Maske verbirgt, und das Außen fallen auseinander.

Nachdem die ersten Dramenversuche keinen Erfolg hatten, gelangt Pirandello mit dem Stück “Sechs Personen suchen einen Autor” (1921) zu Weltruhm. Es gilt noch heute als Meilenstein für die moderne Dramentheorie. Sechs Figuren, vom Dichter erdacht, dringen auf die Bühne und fordern Leben. Um das Thema der Maske und das Problem des Auseinanderfallens von Sein und Schein geht es auch in der Tragödie “Enrico IV.” (1922), die Pirandello für sein bestes Stück hielt. Der Protagonist, in einem Maskenzug als Heinrich IV. verkleidet, stürzt vom Pferd und verfällt dadurch dem Wahn, wirklich der deutsche Kaiser Heinrich zu sein. Sein großer Reichtum ermöglicht es ihm, diese Rolle inmitten eines zeitgemäß kostümierten Hofstaates auch dann noch weiterzuspielen, als er sich seiner Identität längst wieder bewusst geworden ist. Wie auch sonst in Pirandellos Werk erweist sich die Rolle, die Maske, als Abwehr gegen eine als unerträglich empfundene Wirklichkeit, und wird so zum Ingebriff des Widerspruchs von Kunst und Leben. 1924 tritt Pirandello aus Enttäuschung über den Liberalismus B. Croces in die faschistische Partei ein und arbeitet mit am faschistischen Manifest. Verstärkt widmet er sich dem Theater: 1924 gründet er das Teatro d’ Arte di Roma, und reist 1925-27 mit seiner Truppe durch Europa und Südamerika. 1934 erhält er den Nobelpreis.

Neben seinem dramatischen Werk ist vor allem Pirandellos Novellensammlung “Novelle per un anno” (dt. Novellen für ein Jahr) bekannt geworden. Ursprünglich auf 365 Novellen konzipiert, enthält sie 246 Erzählungen von erstaunlicher thematischer und formaler Geschlossenheit. In der “Nachfolge des Veristen Verga” erzählt Pirandello hier Geschichten von Menschen, die dem Alltag zu entfliehen versuchen. Weniger bekannt dagegen ist Pirandellos Romanschaffen. Auch in seinem berühmtesten “Il fu Mattia Pascal” geht es um Identitätskonflikte, um die Suche nach dem Sinn und die Unmöglichkeit absoluter Freiheit. Der Titelheld, für tot geglaubt, flieht aus seinem Leben, um ein zweites zu beginnen. Als er schließlich in das frühere zurückkehren will, ist er aus dem Leben der anderen herausgefallen; er ist ein Gewesener: Il fu M. Pascal. Wie in vielen anderen seiner Werke finden sich auch in diesem teilweise autobiographisch motivierten Roman Reminiszenzen an Bonn und das Rheinland.

Auf Anraten seines römischen Hochschullehres hatte Pirandello die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität bezogen. Er lernte fleißig Deutsch, übersetzte Goethes Römische Elegien, und schrieb, davon inspiriert, seine Rheinischen Elegien, die er bei ihrem Erscheinen 1895 mit der Anmerkung “Bonn, 1889/90 .. Zur Erinnerung an die in Deutschland, im Rheinland verbrachten Jahre…” versah. Zusammen mit Studienfreunden zog Pirandello in ein Haus am Neutor, und als er sich in Jenny Schulze-Lander verliebte, in das Haus ihrer Mutter in der Breitestraße, wo heute eine Gedenktafel an den berühmten Gast erinnert. Jenny widmete er den Gedichtband Pasqua di Gea, unter denen sich auch ein Gedicht über das Melbtal findet. Die o.g. 16 Rheinischen Elegien sind eine Art dichterisches Tagebuch der rheinischen Zeit, in denen er seine Stimmungen und Eindrücke poetisch verarbeitet. Zentrum der Gedichte aber ist die Bonner Jugendgeliebte, die er dort Johanna nennt. Schon in seinem ersten Roman L’esclusa (dt. Die Ausgestoßene) und in der Novelle “Vexilla Regis” (1897), die er 1893, bald nach seiner Rückkehr aus Deutschland, in den Bergen der Castelli Romani schrieb, finden sich zahlreiche rheinische Ortsnamen wie Bonn, Bad Godesberg, Beuel, Köln, Düsseldorf, Neuwied und deutsche Personennamen – oft mit persönlichem Hintergrund. Und wieder ist es Jenny, deren er sich erinnert: “Dreizehn Jahre waren seit seiner Deutschlandreise verflossen, die nun wie ein stürmischer Traum in seiner Erinnerung wiedererwachte. Keine Spur von ihr … Aber dennoch, wieviele Nachrichten hatte er gesammelt und welchen Anteil an Annys Leben in Bonn genommen! Er hatte sogar das verlassene Haus in der Wenzelgasse wie jeden anderen Ort in der Stadt besuchen wollen, um nach ihrem früheren Leben zu forschen … Da, durch die Poppelsdorfer Allee, war sie sicher mit ihren Freundinnen spazierengegangen …” (aus: Vexilla Regis).

Auch in dem wichtigen Gedicht “Convegno” (Zusammenkunft, 1901), in dem sich verschiedene Erinnerungsbilder einer Person in Form von Schatten aussprechen, entwirft er ein Selbstporträt der Bonner Studentenzeit und holt den Schatten Jennys hervor. In der “Novelle I pensionati della memoria” (Die Pensionäre der Erinnerung, 1913) macht der Dichter den Hutmacher Anton Herbst, der am Markt wohnte, zum Gegenstand seiner Reflexionen über den Tod und die verschiedenen Arten von Wirklichkeit. Vergessen hat Pirandello die Jugendgeliebte nie. Wiedergesehen hat er sie jedoch nicht mehr. Jenny war kurz nach seinem Abschied von Bonn mit ihrer Mutter in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Als sie 1935 durch die Zeitung von Pirandellos Amerikabesuch erfuhr, bat sie ihn um ein Wiedersehen. Der alternde Dichter aber, der sie so in Erinnerung behalten wollte, wie er sie in seiner Jugendzeit erlebt hatte, wollte sich und auch ihr eine Wiederbegegnung ersparen und schrieb ihr nur.

Mit Bonn allerdings war es anders bestellt. Als Pirandellos Theatertruppe 1925 auf seiner Deutschlandtournee in Bonn gastierte, bekennt er den gratulierenden Studentenkorps zu Tränen gerührt, dass er seinen ganzen Ruhm, sein ganzes Werk hingeben würde, um noch einmal der zu sein, der er damals in den glücklichen Bonner Jahren war.

Pirandello in Deutschland

durch Deutsches Pirandello-Zentrum e.V.

Der sizilianische Nobelpreisträger Luigi Pirandello (1867-1936) ist hierzulande zwar als Klassiker der Moderne bekannt und sogar in dem Adjektiv “pirandellianisch” oder “pirandellesk” im – wenigstens intellektuellen – Sprachgebrauch präsent, er ist aber immer nur sehr selektiv gelesen worden, einfach deshalb, weil es nie eine einigermaßen repräsentative Ausgabe seiner Werke in deutscher Sprache gegeben hat.

Zwar ist das deutsche Theater der Jahre 1924 bis 1930 von einer wahren Pirandello-Mode geprägt, aber die bezieht sich nur auf den Dramatiker Pirandello, von dem auch nur die Stücke dieser Periode zur Kenntnis genommen wurden (nicht das Früh- und nicht das Spätwerk der 30er Jahre); zwar hat man in den 50er Jahren Pirandello als “Existentialisten avant la lettre” entdeckt, aber das bezog sich nur auf den Novellenautor Pirandello, von dem seitdem in verschiedenen Zusammensetzungen das eine oder andere Anthologiebändchen sogar die Bahnhofskioske bestückt, während die verfügbaren Theatertexte nach 1945 sich immer wieder lediglich auf das von Peter Szondi zum Spiel vom Ende des Dramas stilisierte Metadrama Sechs Personen suchen einen Autor beschränkten.

Die Romane wurden fast durchgehend ignoriert, sieht man von einem bescheidenen Erfolg des Mattia Pascal ab. Da Pirandello aber nicht nur auf dem Theater neue Maßstäbe gesetzt hat und sein Werk gegenwärtig wieder einmal als “postmodern avant la lettre” entdeckt wird, schien es hoch an der Zeit, dem deutschsprachigen Leser endlich eine einigermaßen vollständige Ausgabe anzubieten.
Sie liegt nun in sechzehn Einzelbänden vor. In diesen finden sich erstmals sämtliche sieben Romane und eine umfangreiche Auswahl von Novellen (ca. 150 von insgesamt ca. 240 Texten) in vier Bänden, dazu Pirandellos poetologischer Essay „Der Humor“ und natürlich das gesamte Theater (5 Bände). Ein Band „Nachrichten über meinen unfreiwilligen Aufenthalt auf der Erde“, in dem Pirandellos Leben und Werk „zweistimmig“ erzählt wird – einmal vom Herausgeber, einmal durch für sich selbst sprechende Beispiele seiner Lyrik und Texte aus Briefen, Zettelkästen und Tagebüchern sowie nicht ausgeführten Skizzen – rundet die Ausgabe ab.
Die Romane zeigen Pirandello als Wegbereiter der Moderne, der den Verismus/Naturalismus sozusagen von innen heraus überwindet, indem er die Schreibhaltung der Naturalisten selbst zum Gegenstand der Geschichte macht und ironisiert (Serafino Gubbio), die Auflösung des Ich diagnostiziert (Mattia Pascal, Einer, keiner, hunderttausend), kunst- und filmtheoretische Fragen im Zeitalter der “technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks” in erlebbare Erfahrung umwandelt (Der Mann seiner Frau, Serafino Gubbio) oder schlicht und einfach eine naturalistische Grundhaltung konsequent ironisiert, selbst wenn es um so ernste Fragen wie Emanzipation (Die Ausgestoßene), Ökologie (Serafino Gubbio) oder Politik und Gesellschaft (Die Alten und die Jungen) geht.
Die Novellen, oft Keimzellen der Theaterstücke, radikalisieren diese Tendenz durch die Pointenorientiertheit dieses Genres noch. Ihre Grundform ist die Beffa , der Streich der Boccaccio-Novelle; aber ihn spielen nun nicht mehr listige Intriganten tölpelhaften Opfern, sondern “das Leben und der Tod” dem Menschen schlechthin. So werden Pirandellos Figuren immer wieder zu armseligen Hampelmännern, höhnisch verlacht von einer Macht, die nach Gottes Tod nicht mehr zu fassen ist. Zugleich aber verlieren sie für den Leser die moralischen Konturen, nach denen er sie einordnen könnte: Begriffe wie Gut und Böse sind sinnlos geworden, an ihre Stelle tritt so etwas wie eine allgemein-menschliche Schwäche (im doppelten Wortsinn) und Ohnmacht, und wer die durchschaut (“wer das Spiel verstanden hat”), ist allemal noch am besten dran.
Ob auf Pirandellos heimatlicher Insel Sizilien, auf dem “Kontinent”, wie die Sizilianer Italien und “Resteuropa” nennen, oder in einer seltsam phantastisch anmutenden Welt wie die Novellen der Spätzeit, dieses Prinzip kennzeichnet die meisten seiner kurzen Erzählungen, zusammen mit der “Demaskierung” der Illusion, dass man eine Geschichte überhaupt noch “erzählen” kann – denn da die Wirklichkeit für jede der erlebenden Figuren anders aussieht, ist ein eindeutiges Erzählen längst unmöglich geworden.
Pirandellos Theater vollzieht räumlich dieselbe Bewegung – in den sizilianischen Dialektdramen, die der bereits vierzig-jährige Professor an der römischen Lehrerbildungsanstalt zu schreiben beginnt, um seine Familie erhalten zu können (weil nur Theater finanziell wirklich lukrativ ist, wie erschreibt) beginnt eine Verselbständigung der Figuren, die als Rollen gegen das gesellschaftliche Rollenspiel rebellieren – solange, bis sie schließlich sogar gegen das Rollenspiel des Theaters rebellieren. Die nur noch als Rollen durch die Welt gehenden Sechs Personen werden eben dadurch in den Worten ihres Autors theaterwürdig, dass der Autor sie ablehnt, denn dadurch wird nicht ihre klischeehaft melodramatische Geschichte auf die Bühne gebracht, sondern vielmehr die Unspielbarkeit einer solchen Geschichte in einer Zeit, die nicht mehr an eindeutige Wahrheiten glaubt.
Pirandello ist freilich großzügig genug, auch noch die Rückzugswahrheiten, die “großen Geschichten” oder Utopien, noch einige Jahrzehnte vor dem Fall der Berliner Mauer und den Thesen der Dekonstruktivisten, zu stürzen: “Neuer Mensch und neue Gesellschaft”, “freie Religion in einer Art Basiskirche”,”die reine Sphäre der Kunst”, sie alle werden in den drei “Mythen” der Spätzeit in ihrem Scheitern dargestellt.
Die ästhetische Grundlage dafür bildet Pirandellos spezifischer Humor- der umorismo, dem sein theoretisches Hauptwerk, die Habilitationsschrift gleichen Namens gewidmet ist. Sie liegt im Rahmen der Werkausgabe als eigener Band vor; dazu sind die Essays zum Theater im Band 6 (Sechs Personensuchen einen Autor. Trilogie des Theaters auf dem Theater), die zur Erzählliteratur im Band 11 (Da lacht doch jemand. Späte Erzählungen), kleine Texte, Entwürfe, Gedichte und Skizzen schließlich im Band 16 Leben und Werk untergebracht. Die Ausgabe wendet sich an den Leser, nicht an den Wissenschaftler; deshalb wurde auf einen umfangreichen historisch-kritischen Apparat verzichtet. Nur bei jenen Werken, bei denen die Kenntnis von Varianten auch für die “Lust am Lesen” oder – im Fall des Theaters – für die Inszenierungspraxis wichtig zu sein schien, haben wir ausgewählte Varianten in Anmerkungen wiedergegeben.
“Das Leben schließt nie ab”, pflegte Pirandello immer wieder zu sagen. Auch die Pirandello-Ausgabe ist im Prinzip offen konzipiert. Weitere Bände (Erzählungen, Essays, Gedichte) könnten folgen, spätere Auflagen könnten mehr Varianten aufnehmen oder sich an abermals neuen Übersetzungen versuchen. Aber unsere Ausgabe will endlich erstmals die Gelegenheit geben, den ganzen Pirandello auf Deutsch kennen lernen zu können. Denn, wie Rudolf Krämer-Badoni beim ersten Erscheinen der Ausgestoßenen vor mehr als zehn Jahren schrieb: “Es ist nie zu spät, Größe zu entdecken”.

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