… der unerwartete Klang des Lachens wirkte störend, und einige haben sich umgedreht, als ginge es da um eine Unangemessenheit, sagen wir ruhig Ungehörigkeit, ja sogar Unverfrorenheit, wenn man es so nennen will…“ ‑ Dieses Zitat aus der Titelnovelle des vorliegenden Bandes könnte sich auf den Novellenautor Pirandello selbst beziehen. Hatte der Humorist, als der Pirandello sich stets definierte, nicht in den rund zwanzig Jahren seiner Erzählerkarriere zwischen 1895 und 1915 alle Institutionen und Ideale der italienischen Gesellschaft seiner Zeit dem Lachen preisgegeben, freilich einem bitteren, von Mitleid mit den unweigerlich der Lächerlichkeit verfallenen Menschen erfüllten Lachen? Den wohlmeinenden, den seriösen, den am Denkmal ihrer selbst bauenden Intellektuellen und Dichtern, von Croce bis d’Annunzio, mußte das wohl als „Unangemessenheit, ja sogar Unverfrorenheit“ erscheinen.
Michael Rössner
Gefrierendes Lachen und die Freiheit der Träume
Gedanken zu Pirandellos späten Novellen
… der unerwartete Klang des Lachens wirkte störend, und einige haben sich umgedreht, als ginge es da um eine Unangemessenheit, sagen wir ruhig Ungehörigkeit, ja sogar Unverfrorenheit, wenn man es so nennen will…“ ‑ Dieses Zitat aus der Titelnovelle des vorliegenden Bandes könnte sich auf den Novellenautor Pirandello selbst beziehen. Hatte der Humorist, als der Pirandello sich stets definierte, nicht in den rund zwanzig Jahren seiner Erzählerkarriere zwischen 1895 und 1915 alle Institutionen und Ideale der italienischen Gesellschaft seiner Zeit dem Lachen preisgegeben, freilich einem bitteren, von Mitleid mit den unweigerlich der Lächerlichkeit verfallenen Menschen erfüllten Lachen? Den wohlmeinenden, den seriösen, den am Denkmal ihrer selbst bauenden Intellektuellen und Dichtern, von Croce bis d’Annunzio, mußte das wohl als „Unangemessenheit, ja sogar Unverfrorenheit“ erscheinen.
Nun, 1915 brachen nun ernstere Zeiten an: mit Italiens Eintritt in den Ersten Weltkrieg konnte auch der Skeptiker und Spötter Pirandello sich den Mythen seiner Jugend (seine Eltern hatten als glühende Garibaldi-Anhänger in einer „schönen patriotischen Ehe“ zueinander gefunden) nicht mehr entziehen. Der bitter grinsende Humorist schäumte also in seinem Arbeitszimmer vor Wut über das Zögern der italienischen Regierung, dem Erzfeind Österreich den Krieg zu erklären (nachzulesen in der Novelle Tragödie einer Person in Band 6 dieser Werkausgabe). Der besorgte Vater zitterte um seinen Sohn und wünschte sich nichts sehnlicher, als statt seiner selbst noch einmal zu den Waffen gerufen zu werden (nachzulesen in Berecche und der Krieg in diesem Band).
Aber ganz zum Schweigen ließ sich der Humorist ja doch nicht bringen. Das Große Ich (oder das kleine ich?) des Autors schmunzelte zugleich über die „ernsthafte patriotische Begeisterung“ und stellte sie bloß ‑ zunächst in der beißenden Satire Un goi, in der ein Jude seiner intoleranten christlichen Schwiegerfamilie ihr weihnachtliches Idyll mit auf Betlehem zielenden Zinnsoldaten verbittert, dann ‑ schlimmer ‑ mit Novellen wie Quando si comprende, in denen einfach aus dem Begreifen des körperlichen Todes eines nahen Angehörigen auch das Verstehen der Sinnlosigkeit des Massensterbens, der Hohlheit der patriotischen Sprüche erwächst: derselben Sprüche die Pirandellos anderes Ich (das große, das kleine?) dennoch auch danach bisweilen noch klopfte, etwa im Augenblick des Beitritts zu Mussolinis faschistischer Partei 1924.
Pirandellos Kriegsnovellen, von denen der vorliegende Band eine repräsentative Auswahl versammelt, stellen also tatsächlich so etwas wie einen Bruch in seinem Werk dar. Angesichts des Grauens und der Absurdität dieser patriotisch motivierten Massenvernichtung wird Pirandellos Aufhebung hohler Ideale, sein Mythen-Stürzen radikaler, eindeutiger. Der Humorist wird zum tragischen Übermittler der Botschaft von der Sinnlosigkeit dieses Krieges, ja aller Kriege. So gehören diese Erzählungen wohl zu den eindrucksvollsten Antikriegs-Texten unseres an solchen Werken nicht eben armen Jahrhunderts.
Zugleich findet ab 1915 auch eine Umorientierung von Pirandellos Schaffen statt: Aus dem postveristischen Erzähler wird immer mehr ein avantgardistischer Dramatiker, aus dem Professor mit beträchtlichem Ansehen in den literarischen Kreisen Roms und Italiens eine weltweite Berühmtheit. Dem entsprechend entstehen zusehends weniger neue Erzählungen, die vorhandenen hingegen werden für das Theater umgearbeitet, für Auswahlbände überarbeitet, schließlich in dem gigantischen, auf 365 Erzählungen konzipierten Projekt der „Novellen für ein Jahr“ neu gruppiert. Erst in den 30er Jahren publiziert der frisch gebackene Nobelpreisträger wieder neue Novellen in Zeitungen und Zeitschriften, freilich in wesentlich geringerer Zahl als vor 1915. Die letzten beiden Bände der „Novellen für ein Jahr“, Berecche und der Krieg und Ein Tag, enthalten daher über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren, zwischen dem italienischen Kriegseintritt und Pirandellos Tod im Jahr 1936 entstandene Erzählungen: Dokumente einer ästhetischen Radikalisierung, in denen dem Humoristen bisweilen das bittere Grinsen noch auf den Lippen gefriert.
Die Titelnovelle des vorliegenden Bandes, Da lacht doch jemand, ist eines der besten Beispiele für diese Neuheit ‑ und zugleich für die Kontinuität in der literarischen Ästhetik Pirandellos. Denn wie bei seinen veristischen Lehrmeistern Capuana und vor allem Verga, wie oft in Pirandellos frühen Romanen und seinen sizilianischen Novellen, finden wir auch hier eine weitgehend chorale Perspektive. Aber die Stimme oder besser die vielen Stimmen des Textes sind nicht mehr eindeutig zuzuordnen, sie vermitteln dem Leser das unmittelbare, verwirrende Erlebnis eines Kollektivs auf einer anonymen Massenveranstaltung, deren Sinn und Zweck niemandem klar ist, so daß das vorherrschende, allen gemeinsame Gefühl die Unsicherheit in verschiedener Intensität ist. In diesem gespannten, durch Argwohn und gegenseitiges Belauern gekennzeichneten Klima wirkt das Lachen einer kleinen Familie wie ein Funke, der das Pulverfaß zur Explosion bringt; plötzlich haben die Blicke ein Ziel; plötzlich haben die Gespräche ein Thema; plötzlich wird gejagt, verfolgt, ermittelt, beraten, und am Ende gestraft ‑ mit der hyperbolisch grausamen Übersteigerung der „Sünde“, mit einer spiegelnden Strafe also: Vater und Kinder werden „niedergelacht“, durch Lachen bedroht und letztlich in die Flucht geschlagen, „hin-ausgelacht“ sozusagen.
Dieses kalte, böse, bedrohliche Lachen ist nicht bloß auf diese eine Novelle beschränkt: Es ist dasselbe Lachen, mit dem Frau Nono ihren Mann Abele in Einer zuviel zur Verzweiflung bringt und schließlich indirekt die gemeinsame Tochter in den Tod treibt. Und es ist auch verwandt mit dem sadistischen, lüsternen Lachen, das die Spiele begleitet, die sich die Bauernburschen mit der zwergwüchsigen Lucilla aus der gleichnamigen Novelle erlauben. Das Lachen, ursprünglich die Waffe des Humoristen gegen eine in absurden Ritualen erstarrte Welt, gefriert in diesen späten Erzählungen immer öfter auf den Lippen der Protagonisten, des Autors, der Leser… Das Lachen kann zum Schleier des Grauens werden, unter dem der Abgrund von Gewalt, Folter, Tod lauert.
Und dennoch: Auch der Vater und die Kinder in Da lacht doch jemand haben ihr eigenes Lachen, ein entgegengesetztes, befreiendes, Beklemmungen überwindendes Lachen, das zur reinen Körperlichkeit werden kann, wie es Pirandello bei dem Vater beschreibt: „in seinem selig lächelnden Gesicht lacht die Nase mehr als der Mund, die Augen mehr als Mund und Nase zusammen, es lacht das Kinn, es lacht die Stirn, ja sogar die Ohren dieses Mannes lachen“. Das ist nicht das intellektuelle Lachen des Humoristen, das ist die karnevalistische Rache des Körpers an der kontrollierenden Vernunft, an dem Frack, in den man ihn gesteckt hat, und zugleich an den Regeln des sozialen Rollenspiels, die der anonyme Chor, der die Erzählerstimme bildet, so perfekt interiorisiert zu haben scheint.
Diesen Kontrollen zu entfliehen, das trachteten Pirandellos Protagonisten immer schon dann und wann, doch nie mit der Intensität, die im Spätwerk zu beobachten ist. Ob es der alte Mann ist, der noch einmal versucht, wie ein Kind barfuß im Gras zu laufen (Die Füße im Gras), ob die Perspektive gleich radikal zu den „Vernunftlosen“ wechselt wie dem Pferd aus Das Glück, ein Pferd zu sein, dem „unschuldig“ Böses tuenden Kind wie in Cinci oder Der Nagel oder auch der geistig retardierten Lucilla, oder ob ein Protagonist wenigstens vorübergehend den „Mut zur Unvernunft“ aufbringt wie Mister Myshkow aus der Schildkröte: Die Kontrolle der Vernunft und die Unterordnung unter die sozial geprägte Rolle wird aufgehoben, nicht nur für die Protagonisten, sondern vor allem für die Perspektive der narrativen Vermittlung, und das Ergebnis ist eine seltsame Vermischung von Traum und Wirklichkeit, von den Sphären des Bewußten und des Unbewußten ‑ übrigens, ohne daß bei Pirandello je eine explizite Beschäftigung mit Freud nachzuweisen wäre.
Freilich, eine Geschichte wie Cinci ist nicht nur eine faszinierende Darstellung der Psyche eines Adoleszenten darstellt, sondern zugleich eine literarische Umsetzung des Phänomens der Verdrängung, das Pirandello dann 1935 auch noch in dem Bühnenstück Man weiß nicht wie gestalten sollte. Aber wissenschaftlich ist der Kontext dieser Geschichten eher noch der des ausgehenden 19. Jahrhunderts, über dessen Spiritismus sich der Autor schon in Mattia Pascal (Werkausgabe Bd. 9) lustig gemacht hatte; die „Halluzinationen“, denen sich die Präsenz der schönen Frau Wheil in Besuch, die Liebesszenen der büßenden Maddalena mit ihrem verwitweten Ehemann im Salon der Novelle Wirkungen eines unterbrochenen Traums verdanken, scheinen in einem solchen Zwischenreich zwischen Traum und Realität, zwischen Diesseits und Jenseits angesiedelt, wie es dann die Villa „La Scalogna“ in dem unvollendeten Drama Die Riesen vom Berge sein wird.
Aber auch die Novellen, in denen der eigene Tod zu dem Ergebnis einer quasi unausweichlichen Fatalität, einer Verschwörung der vernunftlosen Welt gegen den Menschen, wird wie in Das Haus des Sterbens oder in Sieg der Ameisen, zeugen von einem solchen Verschwimmen der Realitätskriterien, dem sprachlich eine immer stärkere Tendenz zur lyrischen Prosa entspricht, wie es etwa in Eine Idee oder in Geranie am Abend festzustellen ist, in Texten, die dem Prosagedicht näherstehen als der Tradition der Novelle. In idealer Weise verknüpft schließlich erscheinen alle diese Tendenzen (das gefrierende, böse Lachen, die Rebellion gegen Vernunft und zugedachte Rolle, das Verschwimmen von Traum und Wirklichkeit, von Diesseits und Jenseits und auch die Poetisierung) in der Novelle Ein Tag: Man kann sie als Allegorie des menschlichen Lebens lesen, das rückblickend wie ein Tag abläuft: ein Tag, an dessen Morgen man an einer unbekannten Station aus einem Zug geworfen wird und an dessen Abend unverständlicherweise alt gewordene Kinder und Enkelkinder das diese Situation seltsam unwirklich erlebende Ich zwingen, sich auf das Sterbebett zu legen. Es ist einer der beeindruckendsten Texte des späten Pirandello, in dem sich Poesie und körperliches Erleben, Allegorie und realistische Präzision zu einer paradoxen Einheit von höchster poetischer Dichte verbinden.
Zu diesen späten Texten tritt eine Serie von Skizzen, die Pirandello tatsächlich bereits in jungen Jahren (zwischen 1895 und 1906) konzipiert und veröffentlicht hatte, die aber erst in dem „Anhangsband“ zu den „Novellen für ein Jahr“ in Buchform erschienen waren: die „Gespräche zwischen dem Großen Ich und dem kleinen ich“. Hier gibt der Autor Pirandello schonungslos die eigenen Schwächen preis, freilich aufgespalten in die beiden Identitäten, die miteinander permanent im Krieg liegen: hier das Große Ich, der erbarmungslose Kritiker seiner Zeit, der intellektuelle, zum Leiden verdammte Dichter (recht nah liegt Robert Musils Selbstcharakterisierung als „Monsieur le Vivisecteur“ in seinem Jugendwerk), der doch bisweilen mit seinem Gestus des selbsternannten poète maudit auch ein wenig lächerlich wirkt; dort das um sozialen Ausgleich und pragmatisches Wohlergehen (von gesellschaftlicher Akzeptanz bis zu gewaschener Unterwäsche) bemühte kleine ich, das von seinem siamesischen Zwilling allzu oft um die Früchte seiner Bemühungen, ja sogar um eine gute Verdauung und einen ruhigen Schlaf betrogen wird. Das könnte zum einfachen literarischen Scherz werden, zur effekthascherischen Betonung der Oppositionen, aber Pirandello schafft es, die Sympathie und Antipathie beinahe gleichmäßig zu verteilen. Das kleine ich, so „intellektuell unterlegen“ es auch sein mag, kann in diesen Diskussionen immer wieder punkten, am eindrucksvollsten vielleicht mit den Worten: „… wenn die Erde dir in dieser deiner Welt wirklich als etwas so Kleines und Armseliges erscheint, meinst du nicht, daß ich dann mehr Recht habe, dort zu leben als du? Ach, in gewissen Augenblicken, glaub mir, mein Lieber, da erbarmt mich deine Größe geradezu; und in gewissen anderen frage ich mich sogar, ob ich, in meinem kleinen Dasein, nicht am Ende größer bin als du.“
Ein wenig von der Größe und der zeitlosen Aktualität des Autors und besonders des Erzählers Pirandello liegt wohl darin, daß dieser Dialog implizit in seinem Werk immer wieder stattfindet, daß immer wieder neben dem bitteren Lachen Platz ist für Mitleid oder einfach Mitgefühl mit der Begrenztheit, der eigenen wie jener der conditio humana im allgemeinen. Sie bleibt sogar in seinem Spätwerk erfahrbar, wenngleich hier das Aufbrechen der Wirklichkeit hin zu dem erwähnten Zwischenreich zwischen Traum und Realität immer häufiger zu dem Gefrieren des Lachens, die Befreiung der Träume zu dem Heraufdämmern der Nachtseite der Vernunft wie in der Orgie des Tötens in Der Hauch führt. Freiheit der Träume und Abgründe von Gewalt und Tod, pragmatische Vernunft und Irrationalismus lassen sich im Angesicht des heraufdämmernden Naziterrors und des Zweiten Weltkriegs, der die traumatische Erfahrung des Ersten noch weit übertreffen sollte, nicht mehr in einem wie immer paradoxen Kompromiß der Koexistenz zwischen einem „kleinen“ und einem „Großen“ Ich vermitteln. Pirandello, der im Dezember 1936 starb, hat diese unerträgliche Spannung in seinen späten, oft als „surrealistisch“ bezeichneten Novellen in vielfacher Weise und zeitlos gültiger Weise erfahrbar gemacht, auch wenn er sie selbst nicht mehr bis zur letzten Konsequenz durchleben mußte.
Michael Rössner
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