In Italiano – La trappola (1912)
Audiolesung – Die Wirklichkeit des Traums – Stimme von Giuseppe Tizza
Erstveröffentlichung dieser Novelle in Corriere della sera vom 23. Mai 1912.
aus dem Italienischen von Michael Rössner
Die falle
Nein, nein, wie soll ich mich denn damit abfinden? Und warum? Ja, wenn ich anderen gegenüber irgendwelche Verpflichtungen hätte, dann vielleicht. Aber ich habe keine! Warum dann also?
Hör mir zu. Du kannst mir nicht unrecht geben. Niemand kann mir unrecht geben, wenn er so in abstracto darüber nachdenkt. Was ich fühle, fühlst auch du, das fühlen alle.[1]
Warum habt ihr so Angst davor, nachts aufzuwachen? Weil für euch die Kraft für die Gründe des Lebens aus dem Tageslicht kommt. Aus den Illusionen des Lichts.
Dunkel und Stille jagen euch Schrecken ein. Und dann zündet ihr die Kerze an. Aber es erscheint euch traurig, was? Traurig, so ein Kerzenlicht. Denn das ist nicht das Licht, das ihr braucht. Die Sonne! Die Sonne! Gierig verlangt ihr nach der Sonne. Denn mit einem künstlichen Licht, das ihr selbst mit zitternder Hand vor euch hertragt, entstehen die Illusionen nicht mehr so spontan aus sich heraus.
Wie die Hand zittert, so zittert eure ganze Wirklichkeit und sie erweist sich euch als fiktiv und unbeständig. Als künstlich wie dieses Kerzenlicht. Und alle eure Sinne wachen angespannt, krampfhaft, in der Angst, unter dieser Wirklichkeit, deren leere Unbeständigkeit ihr entdeckt, könnte sich euch eine andere, dunkle, schreckliche Wirklichkeit auftun: die wahre. Ein Lufthauch… was ist das? Was ist dieses Knarren?
Und in dem Augenblick des Innehaltens, in dem Schauder dieser Erwartung des Unbekannten, unter Zittern und Schweißausbrüchen, da seht ihr vor euch in diesem Zimmer eure Illusionen des Tages sich bewegen, in geisterhafter Erscheinung und mit ebensolchem Gang. Seht gut hin, sie haben dieselben geschwollenen, wässrigen Augenhöhlen wie ihr, die gelbe Farbe eurer Schlaflosigkeit, und auch eure arthritischen Schmerzen. Ja, das dumpfe Nagen der Knoten an den Gelenken eurer Finger.
Und wie sie aussehen, wie sie mit einem Mal aussehen, die Gegenstände des Zimmers; auch sie halten förmlich inne in einer entsetzten Reglosigkeit, die euch beunruhigt.
Sie waren um euch, als ihr schlieft.
Aber sie schlafen nicht. Sie sind da, untertags ebenso wie in der Nacht.
Eure Hand öffnet sie und schließt sie einstweilen. Morgen wird sie eine andere Hand öffnen und schließen. Wer weiß, welche andere Hand… aber für sie ist das einerlei. Sie bewahren einstweilen in sich eure Kleider, leere, aufgehängte Gewänder, die ganz zerknittert sind, die die Falten eurer müden Knie, eurer spitzen Ellbogen angenommen haben. Morgen werden da drinnen die zerknitterten Gewänder eines anderen hängen. Der Spiegel dieses Kastens reflektiert jetzt euer Bild und bewahrt keine Spur davon; morgen wird er keine Spur von dem Gesicht eines anderen bewahren.
Der Spiegel sieht für sich gar nichts. Der Spiegel ist wie die Wahrheit.
Du meinst, ich rede irre? Ich rede so vor mich hin? Ach geh’ doch, ich weiß ja, daß du mich verstehst. Du verstehst sogar mehr, als ich sage, denn es ist sehr schwer, dieses dunkle Gefühl auszudrücken, das mich beherrscht und erschüttert.
Du weißt, wie ich bis jetzt gelebt habe. Du weißt, daß ich immer Ekel, Abscheu davor empfunden habe, mir doch noch eine Form zu geben, mich in einer solchen einfangen zu lassen, mich auch nur für einen Augenblick an sie zu binden.
Stets habe ich meinen Freunden Stoff zum Lachen geboten, wegen der… wie nennt ihr das? – ach ja, der Veränderungen in meinen persönlichen Kennzeichen. Aber ihr konntet nur deshalb darüber lachen, weil ihr nie so tief darüber nachgedacht habt, was eigentlich dieses wahnhafte Bedürfnis ausmachte, mich mir selbst vor dem Spiegel in einer ständig neuen Erscheinungsform zu präsentieren, mich der Illusion hinzugeben, ich wäre nicht immer dieser eine, mich als einen anderen zu sehen!
Aber natürlich! Was habe ich denn schon verändern können? Freilich, ich habe mir am Schluß sogar den Kopf rasiert, um mich frühzeitig als Glatzkopf ansehen zu können; bald habe ich mir den Schnurrbart abrasiert und den Kinnbart stehen lassen; bald habe ich Schnurr- und Kinnbart abrasiert, oder ich habe mir letzteren bald so, bald so wachsen lassen, als Spitzbart, über dem Kinn geteilt, als Rauschebart.
Ich habe mit den Haaren gespielt.
Die Augen, die Nase, den Mund, die Ohren, den Rumpf, die Beine, die Arme, die Hände, die habe ich nicht verändern können. Oder hätte ich mich schminken sollen, wie ein Schauspieler? Manchmal war ich versucht, es zu tun. Aber dann habe ich daran gedacht, daß mein Körper unter der Maske doch derselbe bleiben.. und altern würde!
Ich habe versucht, mich im Bereich des Geistes dafür zu entschädigen. Ja, mit dem Geist konnte ich besser spielen!
Ihr schätzt über alles die Beständigkeit der Gefühle und die Kohärenz eines Charakters und könnt gar nicht aufhören, sie zu loben. Und warum? Nun, doch immer aus demselben Grund! Weil ihr feig seid, weil ihr Angst vor euch selbst habt, das heißt davor, durch eine Veränderung der Wirklichkeit, die ihr euch selbst gegeben habt, diese Wirklichkeit zu verlieren, und somit anzuerkennen, daß sie nichts anderes war als eure Illusion; daß es somit überhaupt keine Wirklichkeit gibt, außer der, die wir selbst uns geben.
Aber was soll das denn heißen, frage ich, sich selbst eine Wirklichkeit geben, wenn nicht, daß man sich in einem Gefühl festschreibt, darin gerinnt und erstarrt, sich darin einschließt? Und daß wir somit die unaufhörliche Bewegung des Lebens anhalten, aus uns lauter kleine, armselige Pfützen machen, die auf das Verfaulen warten, während das Leben ein ständiger, glühender und ununterschiedener Fluß ist.
Siehst du, das ist der Gedanke, der mich beschäftigt und mich rasend macht!
Das Leben ist der Wind, das Leben ist das Meer, das Leben ist das Feuer; nicht die Erde, die erstarrt und Form annimmt.
Jede Form ist der Tod.
Alles das, was sich selbst aus dem Zustand der Schmelze herausbewegt und erstarrt in diesem ständigen, glühenden und ununterschiedenen Fluß, das ist der Tod.
Wir sind alle Wesen, die in der Falle gefangen sind, abgetrennt von dem nie anhaltenden Fluß, festgebunden für den Tod.
Für eine kurze Zeitspanne dauert die Bewegung dieses Flusses in uns noch fort, in unserer abgetrennten, losgelösten, erstarrten Form; aber da, nach und nach, wird sie langsamer; das Feuer kühlt aus; die Form trocknet; bis endlich die Bewegung in der ganz steif gewordenen Form endgültig zum Erliegen kommt.
Wir sind mit dem Sterben zu Ende gekommen. Und das haben wir Leben genannt!
Ich fühle mich in dieser Falle des Todes gefangen, die mich von dem Lebensstrom abgetrennt hat, in dem ich ohne Form dahingeflossen bin, und mich in der Zeit erstarren hat lassen, in dieser Zeit!
Warum in dieser Zeit?
Ich hätte noch weiter fließen können und wenigstens weiter hinten, in einer anderen Form, weiter hinten erstarren können… das wäre dasselbe gewesen, meinst du? Ja freilich, früher oder später… Aber ich wäre ein anderer geworden, dort hinten, wer weiß wer und wer weiß wie; in einem anderen Schicksal gefangen; ich hätte andere Dinge gesehen, oder vielleicht auch dieselben, aber aus einem anderen Blickwinkel, in einer anderen Ordnung.
Du kannst dir nicht vorstellen, welchen Haß mir die Dinge einflößen, die ich sehe, und die mit mir in der Falle dieser meiner Zeit gefangen sind; all die Dinge, die mit mir nach und nach zu Ende sterben! Haß und Mitleid zugleich! Aber mehr Haß vielleicht als Mitleid.
Ja, natürlich hätte ich, wenn ich weiter hinten in die Falle geraten wäre, auch jene andere Form gehaßt, so wie ich jetzt diese hasse; ich hätte jene andere Zeit gehaßt, wie ich jetzt diese hasse, und all die Illusionen des Lebens, die wir Toten aller Zeiten uns aus dem bißchen Rest an Bewegung und Wärme bauen, der, in uns eingeschlossen, von jenem ständigen Fluß zurückgeblieben ist, der das wahre Leben ist und niemals innehält.
Wir sind lauter geschäftige Tote, die sich einbilden, sich selbst das Leben zu bauen.
Wir vereinigen uns miteinander, ein Toter mit einer Toten, und glauben, so das Leben zu geben, und dabei geben wir den Tod… noch ein Wesen in der Falle!
“Hier, mein Lieber, hier; fang nur schön an mit dem Sterben, Lieber, fang nur schön an… Du weinst, gelt? Du weinst und zappelst… wärest du gerne noch weitergeflossen? Sei schön ruhig, Lieber! Was willst du schon machen? Gefangen, ko-a-gu-liert, erstarrt… es dauert nur ein Weilchen! Sei schön ruhig…”
Ja, solange wir noch klein sind, solange unser Körper zart ist, wächst und uns nicht beschwert, da merken wir gar nicht so recht, daß wir in der Falle gefangen sind! Aber dann schnürt uns der Körper plötzlich ein; wir fangen an, sein Gewicht zu bemerken; wir fangen an zu fühlen, daß wir uns nicht mehr so bewegen können wie früher.
Ich sehe mit Ekel meinen Geist sich in dieser Falle winden, damit nicht auch er noch in dem schon seit Jahren beschädigten und schwer gewordenen Körper festgeschrieben wird. Ich verscheuche sofort jede Idee, die sich in mir festzusetzen trachtet; ich unterbreche sofort jede Handlung, die bei mir zur Gewohnheit zu werden droht; ich will keine Pflichten, keine Gefühlsbindungen, ich will nicht, daß auch noch mein Geist sich in einer Kruste aus Begriffen verhärtet; aber ich spüre, daß der Körper von einem Tag zum anderen immer mehr Mühe hat, dem unruhigen Geist zu folgen; er strauchelt, er stürzt, er hat müde Knie und schwere Hände… er will seine Ruhe! Ich werde sie ihm geben.
Nein, nein, ich kann nicht, ich will mich nicht damit abfinden, daß auch ich das mitleiderregende Schauspiel aller Alten abgeben soll, die langsam zu Ende sterben. Nein. Aber vorher… ich weiß nicht, vorher würde ich gerne etwas Außergewöhnliches, etwas Unerhörtes tun, um die Wut, die mich verzehrt, ein wenig abzureagieren.
Zumindest würde ich gerne… – siehst du diese Nägel? In das Gesicht jeder schönen Frau würde ich sie gerne eingraben, die auf der Straße mit aufreizenden Blicken vorübergeht, um die Männer zu erregen.
Was für dumme, elende und gedankenlose Kreaturen sind doch alle Frauen! Sie putzen sich heraus, sie behängen sich mit Schmuck, sie zeigen ihre herausfordernden Formen, so gut sie es vermögen; und dabei denken sie keinen Augenblick daran, daß sie ja selbst auch in der Falle stecken, selbst auch für den Tod festgebunden sind, und daß sie auch noch in sich selbst die Falle für die tragen, die nach ihnen kommen werden.
Für uns Männer liegt die Falle in ihnen, in den Frauen. Sie versetzen uns für einen Augenblick zurück in den Zustand der glühenden Schmelze, um aus uns ein weiteres zum Tod verurteiltes Lebewesen herauszuholen. Sie tun und reden so lange, bis sie uns endlich dort in ihrer Falle fangen, blind gemacht, entflammt und gewalttätig geworden.
Auch mich! Auch mich! Auch mich haben sie dort eingefangen. Eben jetzt, vor kurzem. Deshalb bin ich ja so voller Wut.
Eine gemeine Falle! Wenn du sie gesehen hättest… Eine wahre Madonnengestalt. Schüchtern und demütig. Kaum, daß sie mich sah, schlug sie die Augen nieder und errötete. Denn sie wußte, daß ich sonst nie in die Falle gegangen wäre.
Sie kam hierher, um einen der sieben körperlichen Beweise der Barmherzigkeit zu erbringen: den Krankenbesuch. Um meines Vaters willen kam sie, nicht meinetwegen. Sie kam, um meinem alten Kinderfräulein bei der Pflege und beim Waschen meines armen Vaters da drinnen zu helfen…
Sie pflegte sich hier aufzuhalten, in dem Zimmerchen nebenan, und sie hatte sich mit meiner Kinderfrau angefreundet, vor der sie sich über ihren Dummkopf von einem Mann beklagte, der sie in einem fort beschimpfte, weil sie nicht einmal dazu tauge, ihm einen Sohn zu schenken.
Verstehst du, wie das ist? Wenn man beginnt, steif zu werden, sich nicht mehr so bewegen zu können wie früher, dann will man um sich andere kleine Tote sehen, noch ganz zarte, die sich noch bewegen, wie man selbst sich bewegt hat, als man noch ganz zart war; andere kleine Tote, die einem ähneln und all die unschuldigen kleinen Dinge tun, die man selbst nicht mehr tun kann.
Es ist ein Vergnügen, den kleinen Toten das Gesicht zu waschen, die noch nicht wissen, daß sie in der Falle gefangen sind, sie zu kämmen und sie spazieren zu führen.
Also, sie pflegte hierher zu kommen.
“Ich kann mir vorstellen”, sagte sie, errötend, mit niedergeschlagenen Augen, “ich kann mir vorstellen, welche Qual das für Sie sein muß, Herr Fabrizio, Ihren Vater seit so vielen Jahren in diesem Zustand zu sehen!”
“Ja, Signora”, antwortete ich brüsk, kehrte ihr den Rücken zu und ging.
Jetzt bin ich sicher, daß sie jedes Mal, kaum daß ich ihr den Rücken zukehrte, um zu gehen, lachte, heimlich lachte und sich auf die Lippen biß, um das Lachen zurückzuhalten.
Ich ging fort, weil ich gegen meinen Willen spürte, wie ich diese Frau bewunderte, nicht so sehr wegen ihrer Schönheit (sie war schön, und umso verführerischer, je mehr sie aus Bescheidenheit zu erkennen gab, daß ihr ihre Schönheit überhaupt nichts bedeutete); ich bewunderte sie, weil sie ihrem Mann nicht die Befriedigung gab, einen weiteren Unglücklichen in der Falle zu fangen.
Ich dachte, es läge an ihr. Aber nein: es lag nicht an ihr; es lag an diesem Dummkopf. Und sie wußte es, oder wenigstens – wenn sie dessen nicht sicher war, mußte sie es doch wohl vermuten. Deshalb lachte sie; über mich, über mich lachte sie, über mich, der ich sie wegen dieser scheinbaren Unfähigkeit bewunderte. Sie lachte im Stillen, in ihrem heimtückischen Herzen, und wartete. Bis eines Abends…
Es geschah hier, in diesem Zimmer.
Ich stand im Dunklen. Weißt du, daß es mir Spaß macht, den Tag durch die Scheiben eines Fensters sterben zu sehen, mich von der Dunkelheit ergreifen und nach und nach einhüllen zu lassen, und dabei zu denken: “Ich bin nicht mehr da!”, zu denken: “Wenn da einer in diesem Zimmer wäre, stünde er auf und würde ein Licht anzünden. Ich zünde kein Licht an, denn ich bin nicht mehr da. Ich bin wie die Stühle in diesem Zimmer, wie der Tisch, die Vorhänge, der Kasten, das Sofa, die kein Licht brauchen und nicht wissen und nicht sehen, daß ich hier bin. Ich möchte sein wie sie und mich nicht sehen und vergessen, daß ich da bin”.
Also stand ich im Dunklen. Sie kam dort drüben herein, auf Zehenspitzen, aus dem Zimmer meines Vaters, wo nur ein kleines Nachtlämpchen brannte, dessen Schimmer durch den Spalt der Türe hereindrang und sich ein klein wenig im Dunkel ausbreitete, beinahe ohne es zu zerreißen.
Ich sah sie nicht; ich sah nicht, daß sie auf mich zukam. Vielleicht sah sie mich auch nicht. Bei dem Zusammenprall stieß sie einen Schrei aus. Sie tat, als fiele sie in Ohnmacht, in meinen Armen, an meiner Brust. Ich beugte das Gesicht hinunter; meine Wange berührte ihre Wange; ich fühlte die Nähe der Glut ihres sehnsuchtsvollen Mundes, und …
Am Schluß riß mich ihr Lachen aus dem Taumel. Ein teuflisches Lachen. Ich habe es jetzt noch hier in den Ohren! Sie lachte und lachte, während sie fortlief, diese hinterlistige Person! Sie lachte über die Falle, die sie mir mit ihrer Bescheidenheit gestellt hatte; sie lachte über meine Wut; und über etwas anderes lachte sie auch noch – das habe ich erst später erfahren.
Sie ist fortgezogen, seit drei Monaten, mit ihrem Mann, der zum ordentlichen Gymnasialprofessor in Sardinien befördert worden ist.
Manche Beförderungen kommen wahrlich zur rechten Zeit.
Ich werde meinen Gewissensbiß nicht sehen. Ich werde ihn nicht sehen. Aber in manchen Augenblicken überkommt mich die Versuchung, dieser hinterlistigen Person nachzulaufen und sie zu erwürgen, ehe sie auch noch den Unglücklichen, den sie so heimtückisch aus mir herausgepreßt hat, in die Falle steckt.
Mein Freund, ich bin froh, daß ich meine Mutter nie gekannt habe. Wenn ich sie gekannt hätte, wäre vielleicht dieses Gefühl der Wut nie in mir entstanden. Aber seit es in mir entstanden ist, bin ich froh, meine Mutter nie gekannt zu haben.
Komm, komm; komm hier mit mir herein, in dieses Zimmer. Sieh her!
Das ist mein Vater.
Seit sieben Jahren ist er dort. Er ist gar nichts mehr. Zwei Augen, die weinen; ein Mund, der ißt. Er spricht nicht mehr, hört nicht mehr, rührt sich nicht mehr. Er ißt und weint. Er ißt, wenn man ihn füttert; weinen tut er allein; ohne Grund; oder vielleicht deshalb, weil noch etwas in ihm ist, ein letzter Rest, der, obwohl er vor sechsundsiebzig Jahren mit dem Sterben begonnen hat, noch immer nicht damit aufhören will.
Erscheint dir das nicht entsetzlich, so zu verharren, an einem einzigen Punkt noch hängend, noch in der Falle gefangen, ohne sich freimachen zu können?
Er kann nicht an seinen Vater denken, der ihn vor sechsundsiebzig Jahren für diesen Tod festgeschrieben hat, der mit seinem Vollzug so grauenhaft lange wartet. Aber ich, ich kann schon an ihn denken; und ich denke, daß ich ein Same dieses Mannes bin, der sich nicht mehr bewegt; daß ich es ihm zu verdanken habe, wenn ich in dieser Zeit gefangen bin und nicht in einer anderen!
Er weint, siehst du? Er weint immer so… und er macht mich auch weinen! Vielleicht will er befreit werden. Eines Abends werde ich ihn befreien, und mich dazu. Jetzt beginnt es schon kühl zu werden; an einem dieser Abende werden wir ein kleines Feuerchen anzünden… Wenn du auch etwas davon haben willst…
Nein, hm? Du dankst mir bestens? Aber ja, ja, gehen wir raus, gehen wir nur raus, mein Freund. Ich sehe schon, du mußt dringend wieder die Sonne sehen, draußen auf der Straße.
[1]– In der erwähnten Erstveröffentlichung dieser Novelle findet sich an dieser Stelle folgender Einschub, den wir auszugsweise wiedergeben:
“Was ich fühle, fühlst auch du, fühlen alle. Aber ihr anderen, ihr strickt euch dann hundertundein Gründe zurecht, die das Gefühl wie in einer Zwangsjacke einschließen, damit es in euch nicht die einfache, rasche Tat auslöst, die euch befreien würde.
Aber wenn es auch so von euren Gründen eingesperrt ist, so ist dieses Gefühl doch in euch und es schreit: “Wenn ihr nicht selbst anerkennen würdet, daß ich stärker bin als alles andere, dann würdet ihr mich nicht so fest binden!”
© Michael Rössner.
In Italiano – La trappola (1912)
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