In Italiano – C’è qualcuno che ride (1936)
aus dem Italienischen von Michael Rössner
Da lacht doch jemand
Ein Raunen schlängelt sich mitten durch die vielen Menschen, die hier beisammen stehen:
„Da lacht doch jemand.“
Da oder dort, wo immer dieses Raunen hingelangt, ist es, als richte sich plötzlich eine Viper auf, oder als springe eine Grille in die Höhe, oder als blitze unerwartet ein Spiegel auf und blende die Augen mit gleißendem Licht.
Wer wagt es zu lachen?
Alle fahren herum und sehen sich mit zornblitzenden Augen um.
(Der riesige Salon, den über der Schar der Gäste der Lichtschein vier großer Kristallüster erleuchtet, verharrt da oben in seiner düsteren, staubigen Altertümlichkeit, als wäre er erloschen und verlassen; beunruhigt erscheint nur, von einem Ende des Gewölbes bis zum anderen, die Kruste des gewaltigen Barockfreskos, das sich doch so bemüht hat, die wilden Ausschweifungen seiner Farben in einem ewigen Nachtdunkel zu ersticken und verschwimmen zu lasen; man würde meinen, er könne es kaum erwarten, daß auch dort unten endlich all die Unruhe aufhöre und der Salon geräumt werde.)
Das eine oder andere längliche, mühsam durch ein mitleidvolles Dehnen zu einem betroffenen, verständnisvollen Lächeln verzogene Gesicht mag sich ja finden lassen, wenn man genau hinsieht; aber eines, das lachen würde, richtig lachen, das nicht. Nun, verständnisvoll lächeln, das mag wohl hingehen, ja, es könnte geradezu geboten sein, wenn man bedenkt, daß diese ‑ überaus ernste ‑ Zusammenkunft sich auch den Anstrich einer der in Faschingszeiten üblichen städtischen Zerstreuungen geben möchte. Tatsächlich hat da ja auf einer mit einem schwarzen Teppich abgedeckten Fläche ein kleines Orchester totenschädelartiger Glatzköpfe Aufstellung genommen und spielt endlos tanzmusikartige Stücke, und da sind auch tatsächlich Paare, die tanzen, auf Aufforderung, ja fast auf Befehl der eigens herbeigerufenen Photographen hin, um dieser Zusammenkunft den Anstrich eines Tanzfestes zu verleihen.
So schreiend ist freilich das Rot, das Himmelblau gewisser Abendroben, und so ekelerregend die Zerbrechlichkeit gewisser nackter Schultern und Arme, daß man beinahe meinen möchte, diese Tänzer wären nur für diesen Anlaß von unter der Erde heraufgeholt worden, Spielzeug aus anderen Zeiten, wohlkonserviert und nun künstlich wieder aufgezogen, um dieses Schauspiel zu gestalten. Man hat richtig das Bedürfnis, nachdem man sie angesehen hat, sich an etwas Solides, Grobschlächtiges zu klammern. Ja, hier zum Beispiel, an den Nacken dieses speckfaltigen Nachbarn, über dessen gerötetes Gesicht der Schweiß läuft und der sich mit einem überaus weißen Taschentuch Luft zufächelt; oder an die idiotengleiche Stirn dieser alten Dame. Seltsam: Dort, die Blumen auf dem schäbigen Tischchen mit Erfrischungen, die sind nicht künstlich, und deshalb stimmt es einen so traurig, wenn man an die Gärten denkt, in denen sie heute morgen unter einem hellen, feinen Sprühregen, der in den Gesichtern brannte, gepflückt wurden; wie schade um diese bleiche Rose, die in ihren abgefallenen Blättern einen ersterbenden Geruch nach gepudertem Fleisch bewahrt.
Da und dort, verloren unter der Masse von Leuten, steht wohl auch der eine oder andere Gast im Domino und sieht aus wie ein Laienbruder auf der Suche nach dem Begräbniszug.
Die Wahrheit ist: Alle diese Gäste haben keine Ahnung vom Grund dieser Einladung. Die lief einfach in der Stadt um wie der Appell zu einer Versammlung. Nun sind sie unschlüssig, ob es eher angebracht wäre, sich ein wenig abzusondern oder sich möglichst allen zu zeigen (was bei so vielen Menschen alles andere als leicht wäre), und so beobachtet einer den anderen, und wer sich dabei beobachtet sieht, sich zurückzuziehen oder sich bemerkbar zu machen, der verwelkt auf der Stelle und hält inne; denn hier hat auch einer den anderen im Verdacht, und das allgemeine Mißtrauen in dem Gedränge führt zu Obsessionen, die sich nur sehr schwer beherrschen lassen; schräge Blicke werden über die Schulter geworfen und fahren sofort zurück wie ertappte Schlangen, wenn sie entdeckt werden.
„Ach, sieh mal, du bist auch hier?“
„Na, wir sind doch alle hier, scheint’s.“
Unterdessen wagt niemand nach dem Warum zu fragen, weil jeder fürchtet, er wäre der einzige, der es nicht weiß, was ihn wiederum zweifelsohne schuldig machen würde, falls diese Versammlung einberufen wurde, um eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Ohne sich dabei erwischen zu lassen, suchen einige mit den Blicken jene zwei oder drei, von denen man doch annehmen würde, daß sie imstande sein müßten, es zu wissen; aber sie finden sie nicht. Sie werden sich wohl in einem geheimen Raum zu einer Beratung versammelt haben, einen Raum, in den von Zeit zu Zeit jemand hineingerufen wird, erbleichend diesem Ruf folgt und die anderen in banger Verwirrung zurückläßt. Man versucht, aus dem Charakter des Gerufenen, aus seiner Stellung und seinen Verbindungen darauf zu schließen, um was es wohl bei diesen Beratungen gehen kann, und man kommt dabei zu keinem Schluß, weil eben zuvor ein anderer mit ganz gegensätzlichem Charakter und ganz entgegengesetzten Verbindungen gerufen worden war.
In der allgemeinen Betroffenheit ob dieses Rätsels wächst die Erregung immer mehr. Man weiß ja, wie schnell sich Unruhe mitzuteilen pflegt, und wie schnell aus einer Botschaft, wenn sie von Mund zu Mund weitergegeben wird, eine ganz andere wird. So kommen von einem Ende des Salons zum anderen solche Ungeheuerlichkeiten heraus, daß man ganz niedergeschmettert zurückbleibt. Und aus den brodelnden Gemütern steigt etwas auf und breitet sich aus, wie ein Alptraum, in dem, zu dem beklemmenden, schmerzlichen Klang dieses Orchesters, zwischen dem Stimmengewirr, das einen ganz taub macht, und vor dem Widerschein der Lichter in den Spiegeln vor eines jeden Augen, die seltsamsten Erscheinungen aufblitzen; und wie ein Rauch, der in dichten Ringen herausquillt, dringen aus den Gewissen, die im geheimen das Feuer uneingestandener Gewissensbisse nähren, Besorgnisse und Ängste und Befürchtungen jeder Art; bei vielen löst der instinktive Drang, die Sache sofort wieder in Ordnung zu bringen, die unerwartetsten Wirkungen aus: der eine klappert unaufhörlich mit den Augenlidern, der andere starrt seinen Nachbarn an, ohne ihn zu sehen, und lächelt ihm zärtlich zu, der dritte knöpft ohne Unterlaß einen Westenknopf auf und wieder zu. Besser, man tut, als ginge einen das alles nichts an. An etwas anderes denken. An Ostern, das fällt heuer sehr spät. An einen Menschen, der doch ausgerechnet Buongiorno heißt. Ach, aber das ist wirklich unerträglich, diese Komödie, die wir mit uns selbst aufführen.
Die Tatsache (wenn sie überhaupt zutrifft), daß einer lacht, sollte doch nicht solchen Eindruck machen, will mir scheinen, wenn alle in dieser Stimmung sind. Was heißt da Eindruck! Eine gewaltige Empörung, und eben deshalb, weil alle in dieser Stimmung sind; eine Empörung, als wäre das eine persönliche Beleidigung, daß da wirklich einer den Mut haben kann, ganz offen zu lachen. Der Alpdruck lastet ja eben deshalb so unerträglich auf allen, weil es keinem zulässig erscheint zu lachen. Wenn da einer zu lachen anfängt und die anderen es ihm nachtun, wenn dieser ganze Alpdruck sich plötzlich in einen Schwall des allgemeinen Lachens löst, na dann gute Nacht! In einer solchen Ungewißheit und Spannung der Seele muß man wenigstens glauben und fühlen, daß die Versammlung heute abend eine sehr, sehr ernste Angelegenheit ist.
Aber ist denn da nun wirklich dieser jemand, der immer noch weiterlacht, trotz des Raunens, das sich nun schon eine ganze Weile durch die Versammlung schlängelt? Wer ist es? Wo ist er? Den muß man doch aufspüren, ihn an der Brust packen, ihn gegen die Wand schleudern, und, alle mit vorgestreckten Fäusten, fragen, weshalb er lacht und über wen er lacht. Es scheint, es ist nicht nur einer allein. Ach so, mehr als einer? Man sagt, es wären wenigstens drei. Was denn, wie denn, in Absprache untereinander oder jeder für sich? Es scheint, in Absprache, alle drei. Ach so? Die sind also mit der bewußten Absicht hierhergekommen zu lachen? Ja, so scheint es.
Als erstes fiel so ein großgewachsenes junges Mädchen auf, weiß angezogen, ganz rot im Gesicht, das blühende Leben, vielleicht ein bißchen plump, daß sich vor Lachen kaum halten konnte, in einer Ecke des Saals dort drüben. Anfangs haben die Leute nicht weiter drauf geachtet, sei es, weil sie eine Frau war, sei es wegen des Alters. Nur der unerwartete Klang des Lachens wirkte störend, und einige haben sich umgedreht, als ginge es da um eine Unangemessenheit, sagen wir ruhig Ungehörigkeit, ja sogar Unverfrorenheit, wenn man es so nennen will, aber doch wohl eine entschuldbare Unverfrorenheit: Was denn? Das Lachen eines Kindes, das zudem gleich abbrach, als die Kleine sich beobachtet sah. Als sie dann aus ihrer Ecke geflohen war, vornübergebeugt, sich zusammenkrümmend, beide Hände vor dem Mund, da war das verständlich ‑ ja, das schon ‑ daß man sie auch da drüben noch lachen hören konnte, in einen förmlichen Lachkrampf ausbrechend, vielleicht wegen der Verkrampfung, mit der sie vor den Leuten davonzulaufen suchte. Ein Kind? Nun erfährt man eben, daß sie schon wenigstens sechzehn Jahre alt war, und zwei Augen besaß, die förmlich Flammen sprühten. Es scheint, sie flieht von einem Saal in den anderen, als würde sie verfolgt. Aber ja, verfolgt wird sie, tatsächlich verfolgt von einem sehr hübschen Jungen, blond wie sie, der lacht wie ein Verrückter, während er ihr nachläuft; dann und wann freilich hält er inne, erschreckt durch die Unverfrorenheit, mit der sie überall ihre Nase hineinsteckt; er möchte sich gerne ein wenig Zurückhaltung auferlegen, aber er schafft es einfach nicht; er wendet sich hierhin und dorthin, als höre er seinen Namen rufen, und gewiß beißt er sich auf die Lippen, um einen Anfall von Heiterkeit zurückzuhalten, der in ihm drinnen brodelt und ihm das Zwerchfell erbeben läßt. Und jetzt haben sie auch den dritten entdeckt, ein biegsames Männchen, das sich tänzelnd durch die Räume bewegt und mit den kurzen Ärmchen wie mit zwei Trommelschlegeln in einem fort auf die runde, massive Brust schlägt; seine spiegelnde Glatze rahmt ein roter, lockiger Haarkranz ein, in seinem selig lächelnden Gesicht lacht die Nase mehr als der Mund, die Augen mehr als Mund und Nase zusammen, es lacht das Kinn, es lacht die Stirn, ja sogar die Ohren dieses Mannes lachen. Einen Frack hat er an, wie alle anderen. Wer hat den eingeladen? Wie sind die zu dieser Versammlung gekommen? Niemand kennt sie. Nicht einmal ich. Ich weiß nur, daß er der Vater dieser beiden jungen Leute ist, ein wohlhabender Herr, der mit seiner Tochter auf dem Lande lebt, während der Sohn hier in der Stadt studiert. Sie werden zufällig auf dieses vorgetäuschte Tanzfest geraten sein. Wer weiß, was sie einander beim Kommen zugeraunt haben, was für geheime Einverständnisse und Scherze sie untereinander seit langem verabredet haben, Streiche, die nur ihnen bekannt sind, Sprengstoff in der Hinterhand, färbiges Pulver für ein Feuerwerk, das bei dem geringsten Anlaß in die Luft gehen kann, sei es auch bloß ein flüchtiger Blick; jedenfalls können sie nicht mehr beisammen sein; sie suchen einander aber mit den Augen aus der Ferne, und kaum erspähen sie einander, wenden sie das Gesicht ab, und hinter den vorgehaltenen Händen bricht so ein gewisses Lachen hervor, das inmitten all dieser Ernsthaftigkeit tatsächlich skandalös ist.
Die Obsession dieser Ernsthaftigkeit lastet so schwer und erdrückend auf allen, daß niemand auch nur den Gedanken zu fassen vermag, daß diese drei außerhalb dieses Ernstes stehen könnten, weit fort, und stattdessen in sich drinnen einen unschuldigen, vielleicht sogar dummen Grund haben könnten, so einfach ohne Anlaß zu lachen; das Mädchen zum Beispiel, bloß weil es sechzehn Jahre alt und gewohnt ist, wie ein Fohlen mitten auf einer blumenbestandenen Wiese zu leben, ein Fohlen, das bei jeder Brise feurig in die Höhe steigt und glücklich springt und galoppiert, ohne daß es selbst wüßte warum. Man könnte schwören, daß es gar nichts mitbekommt, daß es nicht die geringste Ahnung von dem Skandal hat, den es gemeinsam mit dem Vater und dem Bruder heraufbeschwört, die auch so fröhlich und so fremd und ohne jede böse Ahnung sind.
Und als sich am Ende alle drei auf einem Sofa in dem Saal dort drüben vereint wiederfinden, der Vater in der Mitte zwischen Sohn und Tochter, erschöpft und zufrieden, aber mit einem großen Verlangen danach, einander zu umarmen, vor lauter Freude über die gelungene Unterhaltung, die aus ihrer Freude in dieses schöne, helle Lachen ausgebrochen ist wie in deN Lärm einer rasch vergehenden Meeresbrandung, da sehen sie plötzlich aus den drei großen Glastüren wie eine schwarze Flut unter einem plötzlich verdüsterten und verschlossenen Himmel die ganze Masse der Gäste auf sich zukommen, langsam, sehr langsam, mit dem melodramatischen Schritt einer finsteren Verschwörung, und nun verstehen sie natürlich zunächst gar nichts, sie glauben nicht, daß dieses merkwürdige Manöver ihnen gelten könnte und tauschen einen Blick, noch immer ein wenig lächelnd; aber das Lächeln erstirbt nach und nach in einer immer stärkeren Beklemmung, bis sie, da sie nicht fliehen und nicht einmal zurückweichen können, den Rücken gegen die Lehne des Sofas gepreßt, nun schon nicht mehr von Beklemmung, sondern von Schrecken erfüllt, instinktiv die Hände heben, als wollten sie die Masse abwehren, die weiter voranschreitend, furchterregend über sie hereingebrochen ist. Die drei Autoritäten, die sich ihretwegen, aus keinem anderen Grund, zur Beratung in den geheimen Raum zurückgezogen hatten, eben wegen des umlaufenden Gerüchts über ihr unzulässiges Lachen, und die dort beschlossen haben, dieses Verhalten in denkwürdiger und exemplarischer Weise zu bestrafen, sie sind eben durch die Mitteltüre eingetreten und präsentieren sich vor allen, die Kapuzen ihrer Dominomäntel bis zum Kinn herabgezogen und zum Scherz an den Händen mit drei Servietten gefesselt, als wären sie gefangene Verbrecher, die gekommen sind, um Gnade zu flehen. Kaum stehen sie vor dem Sofa, da bricht ein riesiges, sardonisches Lachen aus der gesamten Menge der Gäste lärmend hervor und hallt in grauenhafter Weise mehrfach in dem Saal wieder. Dieser arme Vater rudert bestürzt und zitternd mit den Armen, endlich gelingt es ihm, seine beiden Kinder unter den Arm zu nehmen, und ganz geduckt ergreift er die Flucht, während ihm kalte Schauer den Rücken hinunterlaufen, ohne daß er etwas verstehen könnte, verfolgt von dem gräßlichen Gedanken, sämtliche Einwohner der Stadt könnten ganz plötzlich irrsinnig geworden sein.
© Michael Rössner.
In Italiano – C’è qualcuno che ride (1936)
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