Die drei lieben Mädchen – 1894

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Die drei lieben Mädchen
Il’ja Ivanovič Maškov (1881-1984), Die drei Schwestern, 1911

Erstveröffentlichung August 1894 in der Zeitschrift La domenica italiana. Zahlreiche Varianten bekannt. Eine gewisse Verwandtschaft mit der Novelle Leonora, addio! bzw. dem 3.Stück der Theatertrilogie, Heute abend wird aus dem Stegreif gespielt (beide in Band 7?) ist nicht zu leugnen.

aus dem Italienischen von Michael Rössner

Die drei lieben Mädchen

Diese drei Mädchen traf man wirklich überall: in den Konzerten, bei jeder Première, immer in einer Parterreloge, oder auch beim Spazierengehen auf dem Pincio oder auf dem Corso in der Abenddämmerung, die eine bei der weißhaarigen und müde gewordenen Mutter untergehakt, die anderen beiden davor, immer ein wenig ausgefallen gekleidet. Ja, genau die: die Marùccolis.

Arme Mädchen: nach so vielen Opfern verloren sie eines Tages die Geduld und zugleich die Achtung vieler, die an ihrer Stelle nicht den Mut gehabt hätten, so zu handeln (und ich sage den Mut, nicht den Wunsch!). Ich erinnere mich noch, wie da die allgemeine Entrüstung losbrach! Vor allem waren es die Mamas, die sich ihren Tochtern gegenüber gar nicht beruhigen konnten, entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und riefen: “Was ist das für eine Welt!”

Und ich mußte heimlich schmunzeln, wenn ich sie so reden hörte und dabei die niedergeschlagene und verstörte Erscheinung ihrer eingeschüchterten Töchter beobachtete.

Tatsächlich bedenkt uns die Gesellschaft ja mit einer schönen Zahl von Normen und Regeln, die dieses böse Vieh, das sich Mensch nennt, in Zaum halten sollen. Seit Jahrhunderten bemüht sich die Gesellschaft, ihm eine Erziehung zu geben, es beispielsweise guten Tag oder guten Abend sagen, anständig angezogen auf der Straße gehen, sich gerade auf nur zwei Beinen halten zu lassen, usw. usw. Aber dann und wann kommt doch das böse Vieh zum Vorschein und spielt ihr einen Streich. Wie immer es auch sein mag, wir geben dann der Gesellschaft die Schuld, als hätte sie uns Schaden zugefügt, nur deshalb, weil wir sie gezwungen haben, der Natur gewisse Pflichten aufzuerlegen, die diese nun einmal weder anerkennen noch erfüllen mag. Als ob eine Frau nicht einmal, sei es auch nur irrtümlich, einen Mann lieben könnte, der genau genommen nicht ihr Ehemann ist, bloß deshalb, weil ihr die Gesellschaft ausrichten ließ, daß das eine Ehefrau nicht darf. Die Gesellschaft, die Arme, sagt es und verlangt es so; aber was kann sie schon dafür, wenn die Natur darüber nur lacht?

Wie man da gleich sieht, sagt ihr, daß ich nicht verheiratet bin!

Also kommen wir zu dem Fall der Marùccolis.

Ehe wir sie verurteilen, möchte ich doch bitten, daß wir versuchen, einmal, so gut es uns gelingt, das Für und Wider abzuwägen, ohne uns jener Worte zu bedienen, die wie die Augustfliegen sofort bereit sind, sich auf jede Träne und auf jede Speilache (ich bitte um Verzeihung) zu stürzen.

Ihr wißt so viele Dinge nicht, die man auf den ersten Blick tatsächlich nicht berücksichtigen zu müssen meint, die aber auf der berühmten Waage der Gerechtigkeit größeres Gewicht haben oder wenigstens haben sollten.

Wundert euch also nicht, wenn ihr mich auf eine dieser Waagschalen, unter anderem, mit vollen Armen eine Menge von Dingen legen seht, die mich noch immer ganz trunken machen. Hier zum Beispiel: all die abgelegten Kleider der drei armen Mädchen. Ihr wißt nicht, daß diese wegen ihrer extravaganten Freizügigkeit so sehr bewunderten Kleider aus ihren eigenen Händen stammten: die kunstfertige Mutter schnitt sie zu, und die drei Töchter hefteten sie und nähten sie zusammen, mit der Hand und mit der Maschine, wie drei fröhliche Schneiderinnen. Und ihr wißt nicht, daß sie mit den Spitzen und den Bändern an jedes Kleid auch die Hoffnung hefteten, mit diesem könnten sie endlich einem Mann auffallen, der sie dann zur Frau nehmen würde.

Die Mutter hatte eine äußerst bescheidene Pension, die ihr verstorbener Mann (dieser brave Herr Carlo Marùccoli, den alle dann als einen lupenreinen Ehrenmann anerkannten: ja, ihn schon! – denn er war ja tot, als es zu dem Skandal kam), ihr hinterlassen hatte; und sie hatten auch eine kleine Vigna – wie man das in Rom nennt – eine hübsches Häuschen mit ein paar Weingärten jenseits des Ponte Molle; aber weder die eine noch das andere konnten ausreichen, um die Ausgaben der Familie zu decken.

Das Leben, das sie führten, ging also immer nur durch Wunder verborgener Einsparungen und mit höchster Kunstfertigkeit verborgener Opfer weiter. Sie waren immer fröhlich, die drei lieben Mädchen, und ihr brennender und ganz und gar ehrbarer Wunsch, einen Mann zu finden, machte sie nie unangenehm, wenigstens nicht im Umgang mit uns (ich meine mich und den armen Tranzi), von denen sie im übrigen sehr gut wußten, daß wir sie nur zu gerne glücklich gemacht hätten, wenn… Das Wenn, das könnt ihr euch leicht ausmalen: ich war ein armer Maler, Tranzi ein Musiklehrer. Schöne Künste, ja freilich, das leugne ich nicht. Aber ob sie ausreichen, um eine Frau zu erhalten, das will ich doch bezweifeln.

Niemand hatte sie je vor der Geschichte für kokett gehalten. Nun dagegen – das ist ja bekannt – waren sie immer schon voll von Lastern, voll von Fehlern. Ich will sie wirklich nicht verteidigen: Fragt doch ruhig einmal die anderen, die mit mir in ihrem Haus verkehrten. Wer könnte denn behaupten, je auch nur im geringsten von ihnen ermutigt worden zu sein? Ja, wir waren lustig, wir lachten, wir scherzten und waren ausgelassen an diesen Abenden, aber stets in der korrektesten und anständigsten Weise, wie es sich drei Mädchen gegenüber geziemte, die gegebenenfalls jeden sofort zurechtzuweisen verstanden hätten, der sich, von der guten Stimmung angeregt, dazu verstiegen hätte, mit Worten oder Gesten ein bißchen über die Stränge zu schlagen.

Also, dafür, daß sie nicht kokett waren, kann ich euch sogar einen Beweis liefern, der auf meine Kosten und auf die des armen Tranzi ging. Warum sollte ich es nicht erzählen? Ich war in die zweite verliebt, Tranzi in Giorgina, die Älteste. Eines Abends, als wir ihr Haus verlassen hatten und uns auf dem Heimweg unterhielten, wurden wir ernstlich betrübt darüber, daß es diesen drei anständigen, schönen und lieben Mädchen nicht gelingen wollte, einen Mann zu finden. Da wir sie schon nicht heiraten konnten, hätten wir gewollt, daß andere, denen es möglich gewesen wäre, es an unserer Stelle tun sollten, und wir schimpften über sie, weil sie, da sie sich nicht irgendwie besonders dazu ermutigt sahen, sich nicht und nicht zu entscheiden vermochten. Nun, ich und Tranzi, wir gaben mehr als nur einmal einem dieser Leute, wenn er über die Eintönigkeit des eigenen müßiggängeri­schen Lebens klagte und behauptete, seines Lebens müde zu sein, den Rat, als unfehlbares Rezept eine der Marùccolis zu heiraten. Nur empfahl – da Irene nicht so viele Sympa­thien auf sich zu ziehen vermochte wie die anderen beiden – ich die Giorgina und Tranzi die Carlotta; mit einem Wort, ich die seine und er die meine.

Aber mit der einen oder der anderen der Drei wären diese dummen Kerle ohne jeden Zweifel von der Eintönigkeit und allen anderen Übeln kuriert worden, denn jede von ihnen hätte ihrem Ehemann das Leben froh gemacht. Und stattdessen suchten sich diese dummen Kerle einer nach dem anderen, nachdem sie eine Weile hindurch die angenehme Gesellschaft der drei Mädchen genossen und sie vielleicht mit Blicken oder zarten Aufmerksamkeiten ein wenig umschwärmt hatten, sich anderswo eine Frau; und sie bereuten das wenig später.

Ich gab Giorgina Malunterricht, gelegentlich, in der Freizeit. Tranzi unterrichtete Carlotta mit größerer Regelmäßigkeit in Musik und Gesang. Beide erwiesen sich als überaus dankbar für das wenige, was wir für sie taten. Ich sage sogar noch mehr. Ich sage das, was ein anderer vielleicht aus Angst, sich lächerlich zu machen, verschweigen würde. Wenn sie so an manchen Abenden im Salon vor uns beiden allein erschienen, in neuen Kleidern prächtig herausgeputzt, um nun zu einer befreundeten Familie oder ins Theater zu gehen, bemerkten alle drei die Begierde, die sie in uns erregten; und sie antworteten auf unsere geheime, aber aus den Augen leuchtende Begierde mit einem undefinierbaren Blick und einem ebensolchen Lächeln, in dem Genugtuung für sie selbst und zugleich Mitgefühl für uns lag. Irene verstand das am besten von allen, errötete und fragte uns, um ihre Verwirrung zu überspielen, mit unsagbarer Anmut, während sie ihr Kleid betrachtete: “Sehen wir hübsch aus damit?”

Ach, über diesesThema könnte ich einen langen Vortrag halten, über die Sprache der Augen, wenn die Lippen nicht sprechen dürfen. Etwa, wenn Carlotta, beinahe, als täte sie es nur, um ihr Gewissen zu beruhigen, sich mit irgendeinem Dummkopf unterhielt, der mit übertriebener Insistenz um sie herumschwänzelte, oft, wenn sie gerade etwas zu ihm sagte oder ihn anlachte, ihren Blick zu mir wendete: da lag in diesem Blick ein liebevolles Mitgefühl, und er sagte mir: “Du müßtest das sein!”

Denn Carlottas Augen – das kann ich euch versichern – Carlottas Augen duzten mich.

Von den dreien war Carlotta die schönste, wenigstens für mich, Irene die klügste, Giorgina die unterhaltsamste.

Das Gruppenbild, das ich von ihnen malte, ist sicherlich das am wenigsten schlechte meiner Produkte. Ich habe es vor vielen Jahren in München ausgestellt, unter dem Titel Die drei lieben Mädchen. Es wurde verkauft und ich weiß nicht mehr, wem es jetzt gehört und wo es hingeraten ist.

Mir und Tranzi gegenüber gab es nie eine Heuchelei, nie! Wenn wir einmal im Theater eine von ihnen noch strahlender als sonst sahen, genügte ein leichtes Kopfnicken, damit sie verstand. Und das Nicken bedeutete: “Gefunden?”

“Nein!”, antwortete das Köpfchen des Mädchens, indem es sich lebhaft schüttelte, mit geschlossenen Augen und einem schelmischen Lächeln auf den Lippen.

Sie fanden nicht, sie fanden noch immer nicht, sie fanden nie, diese drei lieben Mädchen!

Nun, eines schönen Tages wurden sie es müde; zuletzt verloren sie die Geduld.

Wer weiß, wie lange sie schon drinnen das Toben ihrer ständig frustrierten Hoffnung zurückhielten und die Zeichen ihrer Enttäuschung unterdrückten! Das erste Zeichen, das ich bemerkte, und das mir als ewiger Eindruck geblieben ist, wie ein Satz in einem Drama, in dem man schon die Katastrophe spürt, war jener Morgen, an dem wir zu der Vigna am Ponte Molle fahren sollten, und Giorgina Tranzi mit gesenktem Kopf entgegentrat: Sie hielt mit zwei Fingern einen Silberfaden in die Höhe, der aus ihrer Stirn herauswuchs, wobei sich ihre Augen in dem Bemühen verdrehten, ihn zu betrachten: “Tranzi, ein weißes Haar!”

Denn sie hatte die Dreißig bereits überschritten. In der letzten Zeit hatte ich bemerkt, daß sie sich mit ungewöhnlicher Hartnäckigkeit um Arnaldo Ruffi kümmerte, einen der treuesten Gäste des Hauses; dann, daß sie plötzlich, über ihn mit einer nicht weniger ungewöhnlichen Bitterkeit sprach, und schließlich, daß sie Tranzi wegen seiner Faulheit zu quälen begann: er habe kein Recht, sich über die Ungerechtigkeit des Schicksals zu beklagen, denn er wolle ja nichts tun und nichts versuchen, um seine künstlerischen Talente besser zur Geltung zu bringen; hatte er da nicht die Skizze einer Oper, eines Jugendweks? Na eben: warum überarbeitete er die nicht? Warum beschäftigte er sich nicht mit einem anderen Werk?

Beinahe mit Tränen in den Augen entdeckte ihr der arme Tranzi daraufhin das geheime Elend, von dem sein Leben voll war: er verriet ihr unter anderem, daß er seit ungefähr einem Jahr sich sogar von dem Klavier hatte trennen müssen, daß er gemietet hatte. Ohne viele Umschweife schlug ihm Giorgina daraufhin vor, dort zu arbeiten, in ihrem Haus; sie würden ihm das Klavier zur Verfügung stellen, er könnte es mit der größtmöglichen Freiheit benützen; sie würden ihn im Salon allein lassen; die Familie würde sich in den entlegensten Winkel des Hauses zurückziehen. Sie redete und bemühte sich so lange, daß sie ihn endlich zwang, den Vorschlag anzunehmen. Ich weiß, daß sie schließlich sogar so weit ging, ihn im Salon einzuschließen; und den Schlüssel hatte sie in der Tasche.

Wer weiß, ob es nicht wirklich die Entdeckung dieses weißen Haars war, die, zusammen mit so vielen anderen traurigen Kleinigkeiten, vor denen sie die Augen bislang kummervoll geschlossen hatte, sie, und in der Folge auch ihre Schwestern, zur Rebellion aufstachelte! Und diese Rebellion war umso wilder, als zuvor die hoffnungsvolle Erwartung lang und geduldig gewesen war, diese Hoffnung, die ihnen plötzlich sinnlos und beinahe lächerlich erscheinen mußte.

Ich habe mehr als einmal gehört, daß man die älteste Marùccoli für den Selbstmord Angiolo Tranzis verantwortlich machte. Das ist eine Infamie. Welche Schuld hatte denn die Marùccoli daran, daß Tranzi Gewissensbisse über die Freude empfand, die sie, in ihrer Rebellion gegen die in dem vergeblichen Warten verlorene Zeit und gegen das Schicksal, das sie zum Verblühen ohne Liebe verdammte, ihm schenken wollte, ganz bewußt und geradezu als Preis für sein langes, schweigend zurückgehaltenes Begehren?

Nein, nein: Tranzi habe ich gut gekannt, der war innerlich viel zu sehr zerfressen, der konnte nicht dieser über ihn hereinbrechenden, brennenden Freude standhalten, die sich über jedes Vorurteil hinwegsetzte. Zu sehr hatten die vielen Enttäuschungen an ihm genagt und ihn innerlich ganz ausgehöhlt; als diese Freude ihn packte, brach er unter ihr zusammen.

Ich sah ihn an diesem Tag nach Hause kommen, mit roten, geschwollenen Augen. Er hatte geweint, versteht ihr das? – nachher. Und er mußte lange geweint haben, sicherlich in der Überzeugung, ein Verbrechen begangen zu haben; und die Frau, das Mädchen, mußte ihn trösten, ihn wieder aufrichten, den Schatten der Reue verjagen, mit dem er ihr in diesem Augenblick die Sonne der eben empfundenen Freude zu verdüstern suchte. Und wer weiß! Vielleicht hat gerade die Scham über diese Szene in seinem inneren Aufruhr, in dem plötzlich so viele Gefühle und Gedanken in ihm entfesselt wurden, auch dazu beigetragen, ihn zu dieser Gewalttat gegen sich selbst schreiten zu lassen.

Und die Marùccoli beweinte ihn nicht: sie fühlte sich im Gegenteil durch seinen Tod verletzt wie durch eine Beleidigung.

Alle drei Schwestern zogen sich damals in das hübsche Häuschen in der Vigna zurück. Aufgrund einer leichter zu verstehenden als zu erklärenden Scheu nahm ich davon Abstand, sie nach Tranzis Tod dort zu besuchen. Ich könnte daher keine genauen Angaben über diese Zeit machen. Ich weiß, daß das Häuschen immer sehr viel Besuch empfing, aber daß die häufigsten Besucher sich nach einer gewissen Zeit zurückzogen, um anderen Platz zu machen.

Die drei Schwestern schienen, nun ohne jede Hemmung und in der Freiheit des Landlebens, geradezu übergeschnappt zu sein; sie schmiedeten die seltsamsten Pläne für die Zukunft: Giorgina wollte sich der Malerei widmen, und jeden Morgen zog sie aus, einen schäbigen Strohhut auf dem Kopf, mit blühendem Gesicht, strotzend vor Kraft und Gesundheit, um sich mit den kleinen Zypressen auf dem Monte Mario im Duell zu messen. Die Waffen waren der Pinsel, der Schauplatz ein Stückchen Leinwand, bis die Sonnenstrahlen genug sagten. Carlotta – so erzählte man mir – war mehr denn je davon überzeugt, in der Kehle den Goldschatz einer wunderschönen Altstimme zu haben, mit der sie nach jeder Mahlzeit die geduldigen Ohren eines alten, hinfälligen Gesangslehrers aus der Provinz in Erstaunen versetzte. Irene hatte sich den Floh ins Ohr gesetzt, Schauspielerin werden zu wollen und deklamierte mit lauter Stimme und großen Gesten ihre Rollen, wobei sie die alte Mutter zur Rolle des jeweiligen Partners verdammte. Die arme, geduldige Alte spielte also die Stichwortbringerin, indem sie sitzend, die Brille auf der Nasenspitze, gehorsam den Text ablas:

Odetta: Ihr wollt mich also zum Gehen zwingen?

Der Graf: (las die Mutter): Aus meinem Haus… jawohl, und zwar augenblicklich.

Odetta: Und meine Tochter?

Der Graf: Meine Tochter… Die behalte ich bei mir.

Odetta: Hier? Ohne mich?

Der Graf: Ohne Sie.

Odetta: Ach was! Ihr seid verrückt, mein Herr… Meine Tochter gehört mir, und niemals dürft ihr hoffen, mich von ihr zu trennen.

So ging es, bis nach einigen Monaten der Abwesenheit einer der treuesten Gäste, die als erste verschwunden waren, in das Häuschen zurückkehrte: ich meine Ruffo.

Arnaldo Ruffo, das habe ich euch ja bereits angedeutet, hatte vor der Geschichte mit dem armen Tranzi Giorgina ernste Hoffnungen gemacht. Er war einer derjenigen, denen es möglich gewesen wäre, wenngleich zwei kurze Besuche in Monte Carlo sein Vermögen beträchtlich hatten zusammenschmelzen lassen. Ein gut aussehender junger Mann, groß, dunkel, solid: genau der richtige Ehemann für Giorgina. Die erste Liebe loderte in ihm neu auf, als er sie nun besitzen konnte, sie wurde zur wilden Leidenschaft. Es scheint, daß seine Familie versucht hat, ihn ein zweites Mal von dem Mädchen loszureißen, indem sie ihm die blöde Medizin einer Vergnügungsreise zu kosten gaben. Als er in das Häuschen der Marùccolis zurückgekehrt war wie ein Schmetterling zum Licht, scheint er Giorgina bereits in einen anderen ständigen Gast dieser Zeit verliebt vorgefunden zu haben, und es heißt, daß es in dem Haus zu wilden Eifersuchtsszenen kam. Einige Freunde erzählten mir, sie hätten eines Abends in der Dunkelheit der Straße diesen Fetzen eines Gesprächs aufgeschnappt:

“Na gut, dann heirate mich eben!”

Und darauf Ruffos Stimme, gereizt, dumpf:

“Nein! Nein! Nein!”

Schließlich ein großes, spöttisches Gelächter Giorginas: “Dann laß mich doch in Frieden!”

Den Rest wißt ihr.

Seit nunmehr zwei Jahren ist Giorgina Marùccoli die legitime Ehefrau Arnaldo Ruffos. Gleich nach Giorgina heiratete Carlotta. Irene ist noch verlobt. Erst vorgestern bin ich zufällig ihrem Bräutigam begegnet, der alle Hände voll zu tun hat, um das gemeinsame Nestchen vorzubereiten: er ist überglücklich! Und er hat mir gesagt, er würde so schnell wie möglich heiraten.

Versteht ihr das? Erst hieß es nein; nun heißt es ja. Das freut mich für die Herren Männer! Ja, seht nur, beinahe wäre ich sogar versucht, nun – nach so langer Zeit – Giorgina, der Mutigen, einen Besuch abzustatten, um sie zu beglückwünschen. Sie ist nicht sehr glücklich, die Arme: ihr Mann ist eifersüchtig auf ihre Vergangenheit – (der Dummkopf! Als ob das nicht seine eigene Schuld wäre). Aber schließlich und endlich, wer ist denn in dieser Welt schon glücklich?

Jetzt werden sich immerhin binnen kurzer Zeit alle drei eine soziale Stellung geschaffen haben, endlich einen Hausstand besitzen, ein Ziel im Leben: das, was sie sich in ehrbarer Weise stets gewünscht haben. Und auf den Knien der lieben alten Großmutter, die mittlerweile wohl bleicher als Wachs sein wird, schläft schon rosig das erste Enkelkindchen. Ich stelle mir die gute Alte vor, wie sie es selig betrachtet, während sie mit der zittrigen Hand eine Fliege verscheucht, die sich gerade dort niederlassen will, mitten auf dem lieben, runden Gesichtchen.

© Michael Rössner.

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